Was bin ich denn ohne diese meine Arbeit? Ein Nichts. Ein Niemand. Diese Arbeit ist mein Ein und Alles. Nein, mehr noch, ich bin sie.

„Kaffee?“
„Nein, danke. Du hast mich herbestellt. Gibt’s was zu besprechen?“
„Wie geht’s dir, Frieda?“
„Alles okay. Ist nicht schlecht gelaufen in Brooklyn, letzte Woche. Könnte was werden.“
„Könnte?“
Gustav Theodor Sundt lehnte sich in seinem großen Lederstuhl langsam, irgendwie aufreizend, wie Frieda für sich konstatierte, zurück. Er verschränkte die Hände hinter seinem Kopf und zog seine Augenbrauen in die Höhe.
„Was meinst du damit, Gustav?“
„Du weißt, was ich damit meine, meine liebe Frieda.“
In Friedas Bauch begannen sich unangenehme Empfindungen auszubreiten.
„Deshalb hast du mich holen lassen? Verkaufe ich nicht gut genug? Meinst du das?“
„Nur keine Aufregung, Frieda. Du weißt ja selbst sehr genau, dass da eine gewisse Euphorie verlorengegangen zu sein scheint. Ein freudiges Hochgefühl deinerseits, das unsere Kunden jahrelang begeistert hat.“
Sie hatte schon ein bisschen ein komisches Gefühl, als ihr Hannes, ein Büroangestellter mitgeteilt hat, dass der Chef nach ihr verlangt hat, dass sie zu ihm ins Büro kommen soll. Aber dass es gleich so wirklich direkt ans Eingemachte gehen wird, dass wunderte sie jetzt doch. Sie hatte aber gar keine Zeit, richtig über ihre Lage nachzudenken.
„Und du glaubst also, ich bringe das nicht mehr und so wie ich arbeite, das ist nicht gut genug. So meinst du das?“, antwortete sie scharf.
Gustav Theodor Sundt beugte sich wieder vor zum Schreibtisch und blickte Frieda Christina Sangbrecht mitten ins Gesicht.
„Mir scheint, da hat sich so eine Art Pragmatismus eingeschlichen. Das ist halt in unserer Branche nicht das, was uns weiterbringt. Hast du schon Sabrina kennengelernt?“
Frieda schauderte. Plötzlich war ihr ganz kalt geworden.
„Du versäumst durch deine Aufgaben natürlich etliche Teamsitzungen. Egal. Das ist jetzt auch nicht der Punkt. Aber Sabrina ist doch schon ein gutes halbes Jahr bei uns, gesehen haben musst du sie schon.“
„Und? …“ Frieda Ton ist sehr kühl geworden, sie hat unbewusst einen nicht sehr aussichtsreichen Abwehrkampf begonnen, der ihr schon jetzt sehr wehtat.
„Was hat die jetzt mit mir zu tun?“
„Sie erinnert mich an deine Anfangszeit, liebe Frieda. Da ist Feuer und Leidenschaft …“
„Was ich jetzt, deiner Meinung nach nicht mehr habe. Verstehe ich das richtig?“
Gustav verzog die Mundwinkel zu einen kaum merkbaren Schmunzeln.
„So scharf hätte ich das jetzt nicht gesagt, aber …“
„So gemeint“, unterbrach ihn Frieda.
„Es ist halt so“, Herr Sundt, wie ihn fast alle anderen Mitarbeiter nannten, lehnte sich wieder – Frieda meinte provokant genussvoll – zurück in seine weiche Lederlehne, „ dass wir ohne Leidenschaft und Enthusiasmus nicht weiterkommen und wenn wir nicht weiterkommen – na, was ist dann Frieda? – ja, dann können wir gleich zusperren.“
„Wenn du das so sagst, wird das wohl schon beschlossen sein. Sonst redest du ja nicht. Du bist ja der Big Boss hier.“
Gustav schaute Frieda ernst an. Er sagte nichts. Frieda war sehr erregt, sie wandte den Blick ab, richtete ihn nach unten, ohne irgendwo bestimmt hinzusehen.
„Denke nach Frieda. Denke gut und in Ruhe nach. Du weißt, dass du nicht irgendeine Mitarbeiterin bist für mich. Ich habe dir nicht umsonst das Du-Wort angeboten. Ein besonderes Entgegenkommen meinerseits. Du hast immer sehr gut mitgeholfen, meine Vorstellungen umzusetzen. Du hast dich mit ganzer Kraft eingebracht, ja.“ Gustav Sundt schaute Frieda Sangbrecht herausfordernd an.
„Und ja, ich bin der Chef hier, du hast recht und damit bin ich der Verantwortliche für die weitere Zukunft unseres Teams, unseres Unternehmens. Du kannst sicher sein, dass ich mir meiner Aufgabe voll bewusst bin und sie nicht umsonst begonnen habe. Ich habe überaus offene Augen und Fühler für die Dinge, die hier laufen und auch für Entwicklungen, die ins Stocken geraten. Wenn ich sowas entdecke, ist es natürlich meine Pflicht, diese falschen Anfänge von vornherein zu unterbinden und sie wieder in die richtigen Bahnen zu lenken.“ Und nach einer kurzen Unterbrechung fügte er noch hinzu: „Sonst wäre ich ein schlechter Chef, oder?“
„Du warst immer gut zu mir, Gustav. Das ist schon richtig. Aber jetzt ertappe ich mich gerade dabei ‚du warst‘ zu sagen“, Frieda war den Tränen nahe, „Aber du musst wissen, ich arbeite so unheimlich gerne hier, hier in dieser Position, in dieser hochverantwortlichen Stellung, die du mir anvertraut hast. Ich fahre gerne durch die Welt, noch dazu  mit unseren außergewöhnlichen Produkten im Gepäck. Ich …“
„Ja? … Du …?“
„Irgendwie hast du recht, Gustav, ich kann es gar nicht so genau sagen, jetzt, es kommt alles erst so hoch bei mir, momentan, und …“
„Es ist noch nichts entschieden, Frieda. Ich habe noch nicht gegen dich irgendwelche Maßnahmen ergriffen. Es ist wirklich nur ein erstes, ernsthaftes Gespräch, das ich führen wollte, oder besser führen musste, mit dir.“
„Ich bin so völlig zerrüttet jetzt in diesem Moment, musst du wissen. Ich arbeite so gerne, ich kann mir nicht vorstellen, es nicht mehr zu tun. Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, nicht mehr für dich zu arbeiten. Es wäre ein Wahnsinn, ein Zusammenbruch, ein …“
„Hör‘ jetzt auf, …“
„Ein Wahnsinn. Ich würde mich … ich weiß nicht, was ich tun würde. Unvorstellbar das. Was bin ich denn ohne diese, meine Arbeit? Ein Nichts. Ein Niemand. Sie ist alles für mich. Sie ist wirklich mein Ein und Alles.“ Frieda Christina Sangbrechts Augen waren weit aufgerissen.
„Du weißt das, Gustav. Ich habe immer alles dafür gegeben. Sicher. Das weißt du. Alles. Und ich will das auch weiter tun. Was soll ich denn sonst tun? Ich …“

Günther Floner

Kulturarbeiter Wahrheitssucher